Nachhaltige Rekrutierung klingt verlockend und das Personalmanagement wäre nicht zu einem wissenschaftlichen Zweig Kennzahlen und Messungen geworden, gäbe es nicht laufend etwas zu verbessern.
Denn entweder fehlt es trotz aktivem Recruiting an Kompetenzkräften, oder es ist besonders in Engpässen nicht ausreichend Personal vorhanden. Eine Schwierigkeit, die dem Recruiting eigen zu sein scheint, ist, dass er reaktiv arbeitet.
Ein großer Auftrag, eine unerwartete Schwangerschaft, neue Mitarbeiter gehen während der Probezeit – und der gerade überwundene Engpass ist wieder da. Es stellt sich die berechtigte Frage, ob das so sein muss.
Eine internationale Studie der Economus Intelligence Unit und StepStone hat gezeigt, dass besonders große Unternehmen sich vorstellen können, durch antizyklisches Recruiting Fachkräfte zu gewinnen. Das klingt nach einer innovativen Idee. Vor allem aber bringt diese Taktik einen entscheidenden Vorteil: es werden Fachkräfte von Mitbewerbern angesprochen, bevor sie dringend benötigt werden.
Die Kandidaten haben nicht nur mehr Zeit, sich zu einem Wechsel zu entscheiden, auch als Personaler kann deutlich freier gehandelt werden, wenn die Zeit einem nicht im Nacken sitzt. Der genannten Studie zufolge zielen über 40% der Befragten darauf ab, auf dem Markt freigesetzte Kräfte zu binden, bevor es jemand anders tun kann, und 27% legen es sogar darauf an, ihren Mitbewerbern die Fachkräfte abzuwerben.
Warum wirkt diese Strategie so neu? Weil es im Recruiting leider oftmals andersherum läuft: sind scheinbar genügend Fachkräfte vorhanden, wird normalerweise nicht rekrutiert. Im Prinzip hängt das Recruiting permanent hinterher, reagiert auf Engpässe und rekrutiert die Fachkräfte, die vor einem Monat gebraucht wurden. Darunter leidet nicht nur das Onboarding, weil neue Kandidaten so schnell wie möglich in den alltäglichen Workflow integriert werden sollen.
Durch mangelhafte, weil wenig durchdachte Integration neuer Mitarbeiter springen diese mit höherer Wahrscheinlichkeit wieder ab. Sie nehmen das soeben mühsam vermittelte Wissen mit, hinterlassen eine Lücke und produzieren so weitere Kosten, ganz zu schweigen davon, dass sie dem Employer Branding schaden können. Dabei sind all diese Fehler leicht vermeidbar.
Talentpools und eine gut gepflegte Employer Value Proposition sind nur zwei Wege für Unternehmen, sich ein größeres Backup zu verschaffen oder wenigstens für einen permanenten Zufluss an Bewerbern zu sorgen.
Auch wenn Personaler es sich nicht zu einfach machen dürfen, wenn sie nachhaltig rekrutieren wollen, muss nachhaltiges Recruiting nicht kompliziert sein. Am schwierigsten ist das Umdenken in den eigenen Zyklen. Denn antizyklisches Vorgehen setzt umgekehrtes Denken voraus. Es schlussfolgert beispielsweise aus einer ausgeglichenen Mitarbeiterstärke, dass im Recruiting nun genügend Kapazitäten vorhanden sind, um neue Fachkräfte zu rekrutieren.
Nachhaltiges Personalmanagement übt sich in der Gewinnung neuer Mitarbeiter, wenn diese noch gar nicht benötigt werden.
Zudem braucht es ein glaubwürdiges Employer Branding. Nur, wenn Interessenten von vornherein eindeutige Signale darüber bekommen, für welche Werte ein Unternehmen steht, und sich diese mit ihren eigenen decken, ist Mitarbeiterbindung möglich. Ein sogenanntes „Fit zwischen Erwartung und Wirklichkeit“ wird den Kandidaten und Fachkräften nur dann gegeben, wenn die Außendarstellung des Unternehmens zu seiner tatsächlichen Wertestruktur passt.
Der DGFP Die Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V. hat zum Thema der nachhaltigen Rekrutierung die Lektüre „Personalmanagement nachhaltig gestalten: Anforderungen und Handlungshilfen“[1] herausgebracht. Sie liefert simple Tipps und Strategien, die das alltägliche Personalmanagement durch oft verblüffend einfaches Umdenken nachhaltiger gestalten. Manchmal ist lediglich eine Verlagerung des Fokus nötig, beispielsweise ist „auch in der Personalauswahl [ist] schon in der Bewerbungsphase festzustellen, welche Wertestrukturen die Bewerber mitbringen und ob und inwieweit sich diese mit denen des Unternehmens decken.“ [2] Das zeigt, wie früh der Gedanke der Nachhaltigkeit einzusetzen ist.
Bereits in guten Stellenausschreibungen mit klaren Formulierungen, guter Verbreitungsfunktion und sinnvollen, einfachen Bewerbungsoptionen sowie einer festgelegten Suchstrategie sollte der Gedanke ansetzen, um zu fruchten. Denn es kommen nur die Bewerber überhaupt ins Unternehmen, die sich angesprochen fühlen und die die Ausschreibung gefunden haben. Diese müssen über eine klare Karrierewebsite, die diese Betitelung verdient, sofort in einen Talentpool geführt werden, sich wertgeschätzt fühlen und – daran scheitert es leider oft – eine Rückmeldung erhalten.
Unternehmen, die mit Wertschätzung der Mitarbeiter werben und dann Bewerbungsbestätigungen mit falschem Bewerbernamen versenden oder sich überhaupt nicht melden, verspielen ihre Authentizität und wertvolles Kapital durch reine Unachtsamkeit.
Wie viele Themen allgemein für ein nachhaltiges Personalmanagement berücksichtig werden müssen, zeigt wieder die Lektüre des DGFP (s. o.): „Das Thema Gesundheit ist eine wesentliche Komponente in der Darstellung des Unternehmens im Rekrutierungsprozess und ein wesentliches Prinzip des nachhaltigen Personalmarketings. Die Anforderungen an körperliche und mentale Fitness sind in einer Zeit des schnellen Wandels und hoher Leistungs- und Ergebniserwartung ausgesprochen hoch.“ [3] Und hohe Erwartungen bedürfen einer gerechtfertigten Grundlage.
Was die Nachhaltigkeit der Personalstrategie betrifft, lässt sich an dieser Grundlage in beinahe jeder Ebene etwas verbessern. Änderungen sollten dabei gemessen werden. Denn nur, was gemessen werden kann, lässt sich nachweislich und nachhaltig optimieren.
Fragen zum Thema?
[1] ISBN-13: 978-3-7639-3863-6, Personalmanagement nachhaltig gestalten – Anforderungen und Handlungshilfen, Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V., Verlag: WBV Media (2011), aus der Reihe: DGFP-PraxisEdition – Bd.99
[2] Personalmanagement nachhaltig gestalten: Anforderungen und Handlungshilfen von DGFP Die Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V., Kapitel 5, S. 52
[3] Personalmanagement nachhaltig gestalten: Anforderungen und Handlungshilfen von DGFP Die Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V., Kapitel 5, S. 54